Der gelbe Albtraum

Ein Zeitreise-Bericht einer 12. Klasse am Beruflichen Schulzentrum Delitzsch vom 18. bis 19. November 2021


Wir schreiben das Jahr 2040

Seit zwei Jahren ist die Partei „Die Gelben“ an der Regierung, mit ihrem Vorsitzenden Sebastian Reichmann als Bundeskanzler. Das gute Wahlergebnis des Young Stars und seiner Partei verdankt sich einer sehr teuren und professionell geführten Wahlkampagne nicht ohne populistische Mittel.

Sebastian Reichmann und die meisten seiner Mitstreiter gehören wie große Teile der Politiker insgesamt zu den äußerst Vermögenden im Land. Die Reichmann-Regierung hat von Anfang an durch eigennützige Erlasse und Maßnahmen ihre Vorteile gesucht und das Wohl der Bevölkerungsmehrheit vernachlässigt. So wurde das seit Jahren bestehende Problem knapper und maroder Wohnungen sowie unbezahlbarer Mieten nicht angegangen, ebenso die Unterbezahlung in vielen, auch systemrelevanten Berufen.

Stattdessen hat die Regierung ungezählte Steuergelder in symbolische Projekte wie die Umbenennung der Hauptstadt in „Yellow Town Berlin“ und in den luxuriösen Ausbau des Regierungs- und Finanzviertels um den Potsdamer Platz zur „Money Town“ gesteckt. Die anderen Stadtteile sind wie viele Regionen des Landes in kürzester Zeit heruntergekommen. Wenig wurde in Wissenschaft und Forschung investiert, lediglich in moderne Roboter-Technologien, die das Leben allein der Oberschicht angenehmer und sicherer machen sollen. Nicht zuletzt hat die Regierung großen Einfluss auf die staatlichen und privaten Medien genommen, wobei sich auch einige Journalisten selbst der Regierung angedient und ihr Neutralitätsgebot verletzt haben.

Aus den genannten Gründen regt sich Widerstand im Land unter den benachteiligten, unzufriedenen Bürgern. Größte Kritikerin der Regierung ist zudem die Lösch-Partei, die bei der letzten Wahl knapp unterlegen war, jedoch trotz ihrer Rolle als stärkster Oppositionskraft konstruktive Vorschläge zu unterbreiten versucht.



Eine Szene, die sich im Jahre 2040 zugetragen hat…

1. Akt: Am Frühstückstisch

 Handelnde Personen:  

  • Mutter  
  • Vater  
  • Kind  
  • Sabine Storm –   
    Nachrichtensprecherin  
  • Sebastian Reichmann –   
    Bundeskanzler  

Eine junge Familie, die in einer Ein-Zimmer-Wohnung in Berlin lebt, sitzt an einem Sonntag am Frühstückstisch. Das Kind im Alter von 7 Jahren ist früher vom Essen aufgestanden, um zu spielen.

Mutter (das Kind beobachtend): Du spielst aber schön!

Kind (plötzlich sein Spielzeugauto in die Ecke schmeißend): Nee!

Mutter: Wie?

Kind: Ich will nicht mehr spielen!

Mutter (freundlich): Was willste dann machen?

Kind: Fernsehen gucken!

Mutter (versucht ruhig zu bleiben): Aber du hast doch so schön gespielt.

Kind (bockig): Na mir egal! Ich will jetzt Fernsehen gucken.

Mutter: Dann mach aber leise! Ok?

Das Kind schaltet mit einem Sprachbefehl einen ultradünnen, leinwandähnlichen Fernseher ein. Da die Nachrichten laufen, schaltet es um, doch auf allen Kanälen werden Nachrichten gesendet.

Kind (knurrig): O nö!

Vater (der bislang ganz vertieft ins Nachrichtenlesen auf seinem Tablet war): Schalt mal zurück aufs Erste! Wenn schon Staatsfernsehen, dann wenigstens ohne Werbung!

Das Kind schaltet widerwillig um. Im ersten deutschen Fernsehen läuft die Morgenschau mit dem alten Jingle der abgesetzten Tagesschau.

Nachrichtensprecherin: Guten Morgen! Ich bin Sabine Storm. Heute ist der 23. Juli 2040. Vor zwei Jahren hat Sebastian Reichmann, Vorsitzender der Partei „Die Gelben“, das Amt des Bundeskanzlers übernommen und unserer Hauptstadt den Beinamen Yellow Town gegeben. Wir schalten nun live ins Bundeskanzleramt, wo Herr Reichmann die mittlerweile 39. Regierungserklärung abgibt.

Sebastian Reichmann (sehr selbstbewusst und staatsmännisch auftretend): Hallo, meine sehr verehrten Bürger und Bürgerinnen! Ich muss Ihnen schweren Herzens mitteilen, dass unsere Staatskasse wieder mal leer ist. Und deswegen möchte ich Sie bitten, mehr Steuern zu zahlen. Ein entsprechendes Gesetz wird umgehend auf den Weg gebracht. Ich danke für Ihr Verständnis!

Vater (zornig den Fernseher ausschaltend): Das kann nicht sein! Wir haben kein Geld mehr, unsere Monatskasse ist leer. Was machen wir jetzt?

Mutter (besorgt): So kann’s nicht weitergehen.

Vater (aufstehend und die rechte Faust ballend): Krieg!!!

Mutter: Krieg?

Vater (laut): Ja!

Mutter (beschwichtigend): Das bringt doch nichts.

Vater: Doch!

Mutter: Was sollen zwei Menschen und ein Kind schon ausrichten?

Vater: Na ’ne Revolution anzetteln!

Mutter: Wie willste das denn machen?

Vater: Na ganz viele Menschen für einen Aufstand zusammentrommeln und dann vors Kanzleramt ziehen…

Mutter: Meinste, das bringt was?

Vater: Ja natürlich!

Mutter: Ok?!

Beide, Vater und Mutter, beginnen sofort Freunde und Bekannte über den Messenger „Signal“ zu aktivieren.


2. Akt: Im Kanzleramt

 Handelnde Personen:  

  • Sabine Storm –   
    Nachrichtensprecherin  
  • Mutter  
  • Vater  
  • Kind  
  • Weitere Demonstranten  
  • Kleiner Roboter  
  • Sebastian Reichmann –   
    Bundeskanzler  

Direkt vorm Kanzleramt berichtet Sabine Storm, Nachrichtensprecherin der Morgenschau.

Nachrichtensprecherin: Guten Morgen! Mein Name ist Sabine Storm. Heute ist der 27. Juli 2040. In Yellow Town Berlin herrscht der Ausnahmezustand. Ich stehe vorm Bundeskanzleramt, in dem sich der Bundeskanzler Sebastian Reichmann vor den Demonstranten verschanzt hat, die in diesem Augenblick das Gebäude zu stürmen beginnen.

Man sieht zahlreiche sehr aufgebrachte Demonstranten in das Kanzleramt strömen. An vorderster Front ist die junge Familie, die sogar ihr Kind mitgenommen hat. Auf den Gängen des Amtes laufen hastig Roboter hin und her, die Alarm schlagen. Ein kleiner Roboter versperrt den Aufrührern den Weg.

Kleiner Roboter (laut): Zerstörung, Zerstörung!

Die junge Mutter läuft allen voran und tritt gegen den Roboter, um der Meute den Weg zu bahnen. Dabei verliert der Roboter einen Arm, den die Mutter aufliest.

Mutter (laut und den Roboterarm im Takt schwingend): Wir-zer-stö-ren-die-Re-gie-rung!

Vater, Kind und weitere Demonstranten (dahinter im Chor): Wir-zer-stö-ren-die-Re-gie-rung!

Mutter: Von-Se-bas-tian-Reich-mann!

Der Chor: Wir-zer-stö-ren-die-Re-gie-rung-von-Se-bas-tian-Reich-mann!

Kleiner Roboter (am Boden liegend, leise und blechern): Wir-zer-stö-ren-die-Re-gie-rung-von-Se-bas-tian-Reich-mann!

Die Umstürzler erreichen das Kanzlerbüro. Unter dem Schreibtisch hockt Kanzler Reichmann und zerreißt panisch irgendwelche Aktenzettel.

Mutter (aus vollem Hals): Nehmt ihn fest!

Vater: Auf ihn!

Sebastian Reichmann (flehend): Nicht!!!

Das Kamerateam von Sabine Storm ist den Eindringlingen ins Gebäude gefolgt, um ganz nah an den Ereignissen zu sein.

Nachrichtensprecherin (hastig in die Kamera sprechend und sich immer wieder zu den Geschehnissen in ihrem Rücken umdrehend): Liebe Zuschauer, wie Sie sehen können, hier geht’s zur Sache!

Sebastian Reichmann wird von vier Leuten, darunter auch der Vater, abgeführt. Sie halten seine Oberarme im festen Griff. Auf dem Weg nach draußen kommen die Revoltierenden an dem kleinen beschädigten Roboter vorbei, der erfolglos versucht, sich wieder aufzurichten.

Kind (die Mutter am Arm ziehend): Mammi!

Mutter: Kind, was denn?

Kind (mit einer Mitleidsmiene): Mammi, ich möchte den armen Roboter haben, der ist so süß!

Mutter: Dieses kaputte Ding?

Kind (rührselig): Mammi!

Kleiner Roboter (blechern): Mammi!!!

Mutter (zum Vater): Was sagst du dazu?

Vater: Dann behalten wir ihn halt!

Kind: Jaaaa!

Roboter: Jaaaa!!!

Das Kind läuft mit der Menge, den Roboter auf dem Arm, nach draußen, wo unterdessen die Mittagssonne hoch am Himmel steht und sich noch mehr Bürger versammelt haben, die den Umsturz gutzuheißen scheinen.


3. Akt: Im Nachrichtenstudio

 Handelnde Personen:

  • Sabine Storm –   
    Nachrichtensprecherin  
  • Barbara Lösch –   
    neue Bundeskanzlerin  

Eine sichtlich müde und doch euphorische Sabine Storm leitet die Sondersendung „Brennpunkt“ im Ersten.

Nachrichtensprecherin: Guten Abend! Ich bin Sabine Storm und melde mich noch einmal mit den neuesten Nachrichten in dieser Sondersendung. Heute Morgen wurde die Regierung Sebastian Reichmanns durch unzufriedene Bürger aus dem Amt gedrängt. Zahlreiche Minister haben bereits ihren Rücktritt erklärt. Gegen den amtierenden Kanzler Reichmann, der in Haft sitzt, wurde in einer Notsitzung des Bundestags ein Untersuchungsverfahren eingeleitet. Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass (plötzlich mit leuchtenden Augen) Barbara Lösch, Vorsitzende der Lösch-Partei als der stärksten Oppositionskraft im Parlament, zur geschäftsführenden Bundeskanzlerin in einer Übergangsregierung gewählt wurde. Frau Lösch ist nun live bei uns im Studio. – Frau Lösch, herzlichen Glückwunsch zum neuen Amt!

Barbara Lösch (aufgeregt): Äh, vielen Dank! Dieser Tag ist für mich ein freudiger und trauriger zugleich. Zum einen konnte durch mutige Bürger die korrupte gelbe Regierung, die in nur zwei Jahren sehr viel Unheil für unser Land gestiftet hat, gestürzt werden. Der Machtwechsel findet nun nach den Regeln unseres Rechtsstaates statt. In Kürze wird es Neuwahlen geben. Zum anderen war dieser Umsturz aber nicht gewaltfrei und es gibt Opfer und Schäden zu beklagen. So haben nicht wenige Trittbrettfahrer in der Hauptstadt und im ganzen Land teils wahllos Menschen angegriffen und Gebäude angezündet. Einige Menschen sind dabei gestorben. Ich und meine Lösch-Partei wollen uns dafür einsetzen, den gesellschaftlichen Frieden wiederherzustellen, und neue Gesetze im Sinne der Menschen auf den Weg bringen, wobei die Bürger bei der Gesetzesfindung direkt mitbestimmen sollen. Ich freue mich auf diese Aufgabe!

Nachrichtensprecherin: Vielen Dank, Frau Lösch, für Ihren Einsatz! Im Anschluss an diese Sendung begrüßen wir in einer Talkshow Akteure und Zeugen des heutigen Geschehens.