Zeitreise-Bericht einer 11. und 12. Klasse des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums in Zwickau vom 16. bis 17. September 2019
Wir schreiben das Jahr 2040
Auffällig ist vor allem, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander gegangen ist und der Mittelstand deutlich dezimiert wurde. Die Schulen sind nahezu komplett digitalisiert, Bildung ist allerdings ein teures Gut geworden, weshalb Kinder aus ärmeren Familien nicht dieselben Perspektiven haben, wie der Nachwuchs aus den wohlhabenden Familien. Aufgrund der stetig wachsenden Erfolge in der Medizin gelten Krankheiten, wie z.B. Krebs, so gut wie komplett heilbar. Jedoch ist der Zugang zu entsprechenden Medikamenten nur begrenzt und vor allem eine Frage des Geldes.
Dies entspricht letztlich dem gesamten Bild des Deutschlands aus dem Jahre 2040. Anstelle der politischen Gesetze regieren die Regeln des Marktes fast alle Bereiche der Gesellschaft. Die allseits verbreitete Automatisierung steht mehr für einen technischen als für einen sozialen Fortschritt. Eine hohe Arbeitslosenrate innerhalb der Bevölkerung verstärkt den Trend hin zu einer immer weiter wachsenden, abgehängten und frustrierten sozialen Schicht. In erster Linie sind es die rechtspopulistischen Parteien, die von der Polarisierung der Gesellschaft profitieren und welche in den Bundes- und Landtagswahlen einen Wahlsieg nach dem anderen feiern.
Eine Szene, die sich im Jahre 2040 zugetragen hat…
1. Akt: In der Schule
der Eliteschule Käthe Kollwitz
an der Käthe-Kollwitz-Schule
An einer Schule im Norden von Zwickau.
Herr Reich: Herzlich willkommen in der Eliteschule Käthe Kollwitz in Zwickau. Ihr steht jetzt kurz vor Eurem Abschluss. Mit dieser hohen Schulbildung, die ihr hier genossen habt, könnt ihr die besten Universitäten in Deutschland und der ganzen Welt, wie z.B. Harvard oder Oxford, besuchen. (Schüler reden ziemlich laut) Könnt Ihr bitte kurz ruhig sein? (Schüler zeigen sich genervt)
Herr Reich: Ihr könnt glücklich sein, dass Ihr an dieser Schule seid, allein durch unseren Namen werdet Ihr überall angenommen. Was sind Eure Pläne?
Miriam: Ich geh nach Oxford, ich bin schließlich schlau (grinst).
Mariam: Ich gehe lieber nach Harvard. Geht klar.
Nur wenige Hundert Meter entfernt im Süden der Stadt: Der Oberstufenberater kommt rein und die Schüler stehen auf.
Herr Ousman: Herzlich willkommen in der Käthe-Kollwitz-Schule. Ihr steht jetzt kurz vor Eurem Abschluss. Wie Ihr sicherlich schon wisst, werdet Ihr es sehr schwer haben, da andere Schulen deutlich bessere Bedingungen haben. Aber ich glaube, ihr werdet es schaffen, einen Beruf zu bekommen (schaut zuversichtlich in die Runde).
Moritz: Wir strengen uns seit 10 Jahren in der Schule an und opfern unsere Freizeit für die Bildung und jetzt stehen wir hier und müssen um einen Job bangen.
Herr Ousman: Es tut mir wirklich leid für Euch, aber ich kann das nicht ändern, dass wir hier nicht die gleichen Chancen haben.
2. Akt: Im Krankenhaus
Der Arzt und die Krankenschwester Karla betreten das Krankenzimmer. Der Arzt geht zu Herrn Kaufmann.
Herr Dr. Fischer: Guten Tag, Herr Kaufmann, wie geht’s Ihnen heute?
Herr Kaufmann: Den Umständen entsprechend.
Herr Dr. Fischer: Jedoch habe ich neue Nachrichten für Sie, es gibt ein Medikament gegen Blutkrebs. Allerdings kostet das 300.000 Euro.
Herr Kaufmann: Das kann ich leider nicht bezahlen (traurig).
Frau Kaufmann: Sie können doch meinen Mann nicht hier liegen und sterben lassen (weint)!
Herr Dr. Fischer: Da sind mir leider die Hände gebunden. Wissen Sie, das Medikament wurde über 20 Jahre erforscht und getestet, wir verdanken es der neusten Biotechnik aus China. Doch diese Forschungskosten müssen nun über den Preis wieder eingenommen werden. Daher ist es tatsächlich sehr, sehr teuer.
Der Arzt geht zu Herrn Schneider.
Herr Schneider: Habe ich es richtig verstanden, dass Sie ein Mittel gegen meine Krankheit haben?
Herr Dr. Fischer: Ja, genau, es ist seit heute auf dem Markt. Unter Kollegen fieberten wir diesem Tag lange entgegen (zwinkert ihm zu). Sie können sich 300.000 Euro sicher leisten.
Herr Schneider: Für meine Gesundheit ist mir nichts zu schade. Die Summe ist kein Problem für mich (mit gewissem Stolz).
Die Krankenschwester bietet ihm Wasser an, er nimmt es an. Der Doktor dreht sich weg Richtung Tür.
Herr Schneider: Ach, Herr Doktor, ich übernehme übrigens die Kosten des kranken Patienten neben mir. Ich helfe doch gerne.
Frau Kaufmann bricht in Tränen aus und umarmt den ihm eigentlich völlig fremden Herrn Schneider, der etwas betreten ihr Trost spendet. Herr Kaufmann bedankt sich mit einem kräftigen Händedruck und lädt nach Genesung zu sich ein.
3. Akt: Auf einer Bürgersprechstunde
Der bekannte CDU-Politiker Philipp Amthor gibt seine allwöchentliche „mobile Bürgersprechstunde“ unter gewohnt großer medialer Beachtung – dieses Mal in Zwickau. Im Hintergrund erschallen laute Rufe mit kaum zu überhörendem sächsischem Akzent:
Masse: Volksverräter, Volksverräter!
Philipp Amthor: Ich heiße Sie herzlich willkommen zu meiner – nun ja, ich darf wohl sagen – beliebten Bürgerstunde zur aktuellen politischen Lage. Ich beantworte Ihnen jede Frage, dafür bin ich hier (lächelt selbstzufrieden in die eher unruhig wirkende Menschenmenge).
Wutbürger 1: Orr, die ganzen Ausländer! Mittlerweile sind es 10 Millionen, das kann nicht so weitergehen. Zusammen mit den Robotern nehmen sie uns alle Jobs weg. Was soll das?
Philipp Amthor: Laut Statistischem Bundesamt sind es nur 8,95 Millionen Ausländer – und damit deutlich weniger als moderne Personalroboter in Deutschland (blickt mahnend den Frager an). Und die Arbeit der Ausländer würden Sie wohl bestimmt nicht verrichten wollen, oder? Das zu diesem Thema. Und was die Roboter betrifft, bin ich auch skeptisch. Wollen Sie mir allen Ernstes erzählen, Sie würden Ihren ganzen Haushalt allein machen wollen? Ihre Frau hat dazu jedenfalls bestimmt keine Lust (lächelt zufrieden mit seinem Witz in die Runde).
Wutbürger 2: Wir hatten mal eine soziale Marktwirtschaft. Die gibt es jetzt nicht mehr, denn heute verdienen sich die Unternehmer dumm und dämlich. Und wir, die Bevölkerung, haben zu tun, dass wir über die Runden kommen.
Philipp Amthor: Ich verstehe Sie! Auch ich bin ein glühender Anhänger einer sozialen Marktwirtschaft. Doch mussten wir die Ausrichtung der Staatsausgaben an die neuen Gegebenheiten anpassen. Die Lizenz für moderne Robotik kostet dem Staat Milliarden. Anderseits verdienen wohl auch Sie deutlich mehr als vor 10 Jahren!
Wutbürger 2: Bei der Inflation ist das ja wohl auch kein Wunder!
Philipp Amthor ignoriert den Zwischenruf bewusst und wendet sich einer Frau mittleren Alters zu.
Wutbürgerin 3: Meine Tochter strengt sich seit 10 Jahren an, hat keine Freizeit, dafür aber Angst, dass sie keinen Job bekommt und auf soziale Leistungen angewiesen sein wird. Drüben auf der Eliteschule bekommen sie alle eine gute Ausbildung und später Studienplätze. Das ist doch einfach unfair!
Philipp Amthor: Dafür haben wir ja unsere vielen Deutschland-Stipendien. Wer was kann, der steigt auf!
Wutbürgerin 3: Pah, das sind doch Tropfen auf den heißen Stein!
Abermals wird die Rückfrage ignoriert. Der Manager will die Veranstaltung beenden, doch Amthor lässt großzügig eine letzte Frage zu.
Wutbürgerin 4: Meine Tochter hat Krebs und noch vor 20 Jahren hat unsere Krankenkasse uns unterstützt. Jetzt sind wir auf uns alleine gestellt. Wann schaffen Sie denn endlich die Zwei-Klassen-Gesundheitspolitik ab?
Philipp Amthor: Diese Frage habe ich des Öfteren mit Experten diskutiert. Die privaten Krankenkassen sind einfach effizienter und wen die aufnehmen – dafür kann ich nun wirklich nichts (produziert ein gewinnendes Lächeln).
Er bedankt sich, beendet das Gespräch und geht.