Zeitreise-Bericht einer 10. Klasse des BIP Kreativitätsgymnasiums Leipzig vom 10. bis 11. Dezember 2019
Wir schreiben das Jahr 2040
Unter der Regierung des Sozialen Bundes Deutschland (SBD) ging es den meisten Menschen schlecht. Deswegen nannten sie viele auch die Sozialbetrüger Deutschlands. Sie versprachen, den abgehängten Menschen Chancengleichheit und sozialen Ausgleich. Doch in Wirklichkeit senkten sie die Steuern für die Besserverdiener und erleichterten Kapitalspekulationen am internationalen Finanzmarkt. Wenn es schief ging, hieß es, man müsse die großen Firmen retten, da sonst Massenarbeitslosigkeit drohe. Und so wurden die Reicheren immer reicher und für die sozial Schwächeren blieb wenig Geld.
Doch das änderte sich mit der Volksvertretenden Partei, die die Versprechen des SBD ernst nahm, vor zwei Jahren an die Macht kam und Schritt für Schritt den Zugang zu den wichtigsten Lebensbereichen gleichstellte. Erst wurde beschlossen, dass die Kinder der Wohlhabenden und der Mittellosen die gleiche Schule besuchen, damit künftig Karrieren nicht mehr so stark vom Elternhaus abhängen.
Vor kurzem wurde auch das Zwei-Klassen-Gesundheitssystem aufgelöst und jeder Bürger kommt in den Genuss der fortgeschrittenen Medizin, insbesondere des zuverlässig diagnostizierenden und therapierenden Krankenhaus-Roboters. Ärzten ist es mittlerweile verboten, vor der Behandlung nach der sozialen Herkunft ihrer Patienten zu fragen.
Auch politisch änderte sich viel. So finden die Wahlen nun aller zwei Jahre statt, damit sich die Politiker nicht so lange ausruhen können. Allerdings macht manchen Menschen die große Popularität der VVP schon etwas Angst, denn nicht selten spielt sie sich als Stimme des Volkes auf und nimmt andere Parteien nicht mehr ernst. Auch wenn die Regierung viel Gutes tut – wie lange leben wir noch in einer Demokratie?
Eine Szene, die sich im Jahre 2040 zugetragen hat…
1. Akt: Auf dem Marktplatz
Marta und Anna treffen sich zufällig auf der Straße.
Marta: Hallo Anna, was machst du denn hier?
Anna: Guten Morgen, Marta! Schön, dich zu sehen. Ich gehe shoppen.
Marta: Ich habe mal so drüber nachgedacht: Weißt du noch, wie das vor zwei Jahren war? Da war alles schon ziemlich anders.
Anna: Stimmt. Heute verdienen wir zwar immer noch weniger als manch anderer Nachbar, aber es geht bergauf.
Marta (nickt): Ja. Das finde ich auch.
Anna: Es hat sich vieles verbessert. Das Krankenhaus, das nun mitten im Zentrum gebaut wurde und die Schule dahinter, das verbindet einfach. Früher war man ja nie im Villenviertel drüben und hatte kaum Kontakt mit den „Snobsis“ (kichert). Aber ehrlich, das waren ja oft nur Vorurteile. Jetzt erhält jeder endlich wieder die gleiche Bildung und dieselbe medizinische Versorgung und das unabhängig von der Größe des eigenen Portemonnaies. Nicht so wie damals unter der Regierung des Sozialbundes Deutschlands, der SBD – oder besser Sozialbetrüger Deutschlands (zwinkert Marta zu). Da war alles viel schlimmer.
Marta: Ja, da kann ich dir nur zustimmen.
Anna schaut sich um. Ein Mann in einem Anzug betritt eine Bühne mitten auf dem Marktplatz. Passanten versammeln sich, um ihm zuzuhören.
Anna (ungläubig): Ist das etwa Karl-Heinz Meier?!
Marta (schaut überrascht): Ich glaube, das ist er wirklich!
Karl-Heinz Meier tritt ans Rednerpult und schaut zufrieden auf die Zuhörer.
Karl-Heinz Meier: Liebe Bürger, liebe Bürgerinnen, liebes Volk, meine Brüder und Schwestern! Ich bin froh, dass Ihr heute alle hier seid, dass ihr euch hier versammelt habt. Denn heute ist ein besonderer Tag. Heute ist nicht nur Wahltag, heute feiern wir auch den zweiten Jahrestag vom Abschied von der neoliberalen Politik des SBD!
Die Zuschauer nicken und klatschen.
Karl-Heinz Meier: Zwei Jahre lang! Zwei Jahre ohne den SBD! Das ist der Grund, dass unsere Volksvertreter-Partei in Umfragen bei fast 70 Prozent liegt. (hält kurz inne, wischt sich eine Träne weg) Das ist wirklich ein sehr emotionaler Moment für mich. Ich (schluckt), ich muss sagen, ich bin wirklich froh, dass Sie hier hergekommen sind. Wir haben gemeinsam so viel erreicht. Wir haben für die Gesellschaft etwas Gutes getan und das fühle ich tief in meinem Herzen.
Und genau deswegen werden wir alle – und ich meine wirklich alle –, die wie damals der SBD die soziale Ausgrenzung des einfachen und redlichen Bürgers zugunsten einer kleinen Elite befürworten, (hält kurz inne) aus unserem Land verbannen! Denn wir, die VVP, wir sorgen in diesem Lande für Gerechtigkeit!
Marta und Anna: VVP! VVP! VVP!
Lauter Jubel unter den Zuschauer. Karl-Heinz Meier begibt sich in die Menge und beginnt, mit den Bürgern zu sprechen.
2. Akt: Im Krankenhaus
Die neue Assistenzärztin trifft zum ersten Mal auf Oberarzt Dr. Kneist und reicht ihm die Hand.
Dr. Kneist: Ah, Frau Satschenkow, richtig? Sie sind die neue Assistenzärztin?
Julia Satschenkow: Ja.
Dr. Kneist: Gut, gehen Sie in Ihr Sprechzimmer. Sie können heute einfach direkt loslegen bei uns.
Eine Mutter mit Kind betritt das Vorzimmer.
Frau Müller: Hallo!
Mia Baum: Hallo! Meinem Kind geht es nicht gut.
Frau Müller: Wie ist denn Ihr Name und der Ihres Kindes?
Mia Baum: Ich heiße Mia Baum und das ist mein Sohn Johannes.
Frau Müller: Wo sind Sie denn versichert?
Mia Baum: Bei der VVP-Versicherung.
Frau Müller: Ah, das ist gut. Dann können wir Sie sogar direkt drannehmen.
Mia Baum: Super.
Frau Müller: Ich rufe den Arzt.
Herr Dr. Kneist kommt herein.
Frau Müller: Herr Dr. Kneist, würden Sie sich bitte mal das Kind angucken?
Dr. Kneist: Selbstverständlich. Sie dürfen gern schon derweil zu meiner Assistenzärztin ins Sprechzimmer gehen.
Julia Satschenkow (ruft laut): Bitte ins Sprechzimmer 2!
Frau Müller (zum Roboter): R2D2, bitte einen Kaffee, schwarz mit zwei Stückchen Zucker!
Mia Baum geht ins Sprechzimmer 2, Johannes geht mit Herrn Dr. Kneist mit.
Mia Baum (schaut ganz erstaunt): Ach, ist ja lustig! Julia, was machst du denn hier?!
Julia Satschenkow: Mia! Du arbeitest hier? Wie kommt’s?
Mia Baum: Mein Kind hat sich verletzt.
Julia Satschenkow: Okay, ganz kurz fürs Protokoll – was ist denn passiert?
Mia Baum: Ja, wir waren auf diesem Spielplatz in dem etwas ärmeren Viertel der Stadt.
Julia Satschenkow: Ach, der Spielplatz, der jetzt ausgebaut werden soll?
Mia Baum: Ja, genau! Da gibt es leider einige baufällige Ecken. Da ist Johannes irgendwie runtergefallen.
Julia Satschenkow: Ist Dein Kind das erste Mal im Krankenhaus?
Mia Baum: Ja klar. Wir durften ja früher nicht.
Julia Satschenkow: Aber jetzt mal eine ganz andere Frage…
Mia Baum: Ja?
Julia Satschenkow: Was hältst du denn von der VVP? Wir beide hatten ja nie viel Geld. Es hat sich ja in den letzten Jahren schon einiges geändert.
Mia Baum: Na, du bist ja jetzt im Krankenhaus und kannst endlich als Ärztin arbeiten. Glückwunsch! Ehrlich, ich finde das super! Die VVP setzt sich für uns ein, ich bin echt zufrieden.
Julia Satschenkow: Ja wirklich, vor drei Jahren hätte ich mir nie ausdenken können, dass ich hier in einem Krankenhaus arbeiten kann, wo jeder aufgenommen wird, man nicht ewig auf Termine warten muss und man auch mit den neusten medizinischen Standards versorgt wird.
Mia Baum: Ja, ich habe das auch gesehen. Ihr habt neue Technik wie Roboter-Chirurgen im Krankenhaus?
Julia Satschenkow: Ja, das ist ganz neu. So gibt es kaum noch Therapiefehler. Am Montag soll jetzt noch die neuste Technologie vorgestellt werden. Ich bin ganz gespannt. Es handelt sich um eine Maschine, die den Patienten scannt, jede Krankheit mit einer Fehlerquote von 0,0001 Prozent erkennen und meist sofort therapieren kann. Ich hoffe nur, dass man uns Ärzte auch in Zukunft braucht (schaut besorgt).
Mia Baum: Wird schon. Für uns Patienten klingt es jedenfalls echt gut.
Julia Satschenkow: Hoffen wir es. Auf Wiedersehen!
Mia Baum lacht. Die beiden umarmen sich und Mia macht sich auf die Suche nach ihrem Sohn.
3. Akt: In der Schule
Die Klasse ist gespannt auf ihre neue Sozialkunde-Lehrerin. Es soll eine „aktuelle Stunde“ geben.
Frau Schmidt: Herzlich willkommen zum Sozialkunde-Unterricht, liebe Schüler und Schülerinnen. Schaltet mal bitte eure Handys aus, hört auf zu quatschen und setzt euch ordentlich hin. Wie Ihr schon wisst, feiern wir heute das zweijährige Bestehen der VVP. Und ich würde gern mal eure eigene Meinung hören, was Ihr denn von der VVP haltet.
Frau Schmidt blickt zu Claudia.
Frau Schmidt: Ja?
Claudia: Die ist super, weil sie Gerechtigkeit und Chancengleichheit fördert. Das haben mir meine Eltern erzählt.
Frau Schmidt (zu Peter): Und? Hast du auch was dazu zu sagen?
Peter: Worum geht’s?
Frau Schmidt (genervt): Um die VVP!
Peter: Ja, die finde ich gut! Sie sorgt für Gerechtigkeit und die Armen können jetzt auch all das machen, was wir Reiche machen können. Jeder hat dieselben Chancen durch das einheitliche Bildungssystem. Wenn ich etwas geschafft habe, muss ich mir nicht anhören, dass das nur an meinen reichen Eltern liegt.
Frau Schmidt: Gut, Peter. Du passt ja doch auf. (zu Luise) Ja?
Luise: Naja, wir können jetzt auch dieselbe gesundheitliche Versorgung genießen. Die VVP korrigiert das, was der SBD kaputt gemacht hat.
Frau Schmidt: Ich wusste gar nicht, dass ich so kluge Schüler habe. Gibt es denn auch Kontra-Seiten der VVP?
Hans möchte etwas sagen, Frau Schmidt unterbricht ihn aber.
Frau Schmidt: Hans, ich ahne schon deine Antwort. Du willst bestimmt „nein“ sagen und das ist auch völlig richtig (Hans schaut verwirrt, will erst protestieren, aber überlegt es sich dann doch anders). Die VVP tut uns allen sehr gut. Wir sind fröhlich und wir sind versichert! Weil Ihr so gut mitgemacht habt, gehen wir jetzt schon in die Pause. Bis nachher!
Frau Schmidt verlässt den Raum und Hans beginnt mit seinen Mitschülern zu diskutieren.