Die Deutsche Utopie

Zeitreise-Bericht einer Gruppe von Schülern (Klassenstufe 9 bis 11) des Reclam-Gymnasiums in Leipzig vom 28. bis 29. Januar 2020


Wir schreiben das Jahr 2040

Die enorme Digitalisierung der 2020er Jahre führte zu großen Arbeitsplatzverlusten in Deutschland. In Folge der einsetzenden politischen Krise gründete sich die Partei „Die Deutsche Utopie“ (DDU) und zog mit dem Slogan: „Für eine gerechtere Gesellschaft, in der niemand abgehängt wird!“ in den Wahlkampf.

Das Programm der DDU war einfach: Ein robustes bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) für alle und ein hoher Spitzensteuersatz für Einkommen ab 50.000 Euro. So sollten die Schichten aneinander angeglichen werden und die Schere zwischen Arm und Reich geschlossen werden. Niemand würde einen Arbeitsplatzverlust als existenzbedrohend ansehen müssen, da das BGE ein soziales Sicherheitsnetz böte. Mit diesem Programm mobilisierte die Partei eine Mehrheit der Wählerschaft aus der Mittel- und Unterschicht.

Sobald die DDU die Regierung stellte, wurde das Programm auch schon umgesetzt. Allerdings gab es unerwartete negative Folgen.

Das bedingungslose Grundeinkommen führte dazu, dass immer weniger Menschen gewillt waren, arbeiten zu gehen. Die Einkommen der arbeitenden Bevölkerung sind im Verhältnis zum BGE nicht gestiegen und wurden so aus der Sicht vieler Menschen vom Staat künstlich verringert. Besonders die steigenden Preise fraßen so die Einkommen der Arbeiter auf.

Im Geiste des BGE wurde auch die Schulpflicht aufgehoben. Dies hatte immer mehr Schulschließungen aufgrund von zu kleinen Klassen zur Folge. Die immer schlechter ausgebildeten Menschen haben es heute immer schwerer, eine Arbeit zu finden. Dies bildet eine der vielen Spiralen, die in den Abgrund führen.

Die Wirtschaft schrumpfte, es kam zu immer weiteren Arbeitsplatzverlusten und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung nahm immer weiter zu. Heute sind gesperrte Straßen an der Tagesordnung: Es finden beinahe durchgehend Demonstrationen statt.

Statt der versprochenen Utopie sieht die Situation nun zunehmend wie eine Dystopie aus.



Eine Szene, die sich im Jahre 2040 zugetragen hat…

1. Akt: Im Wohnzimmer

 Handelnde Personen:  
  • Mutter  
  • Vater  
  • Sohn  
  • Tochter  
  • Opa  

Der Vater kommt von der Arbeit nach Hause und wird im Wohnzimmer von seiner Frau und den Kindern begrüßt. Opa liegt im Bett, das im Wohnzimmer aufgestellt ist.

Kinder (rennen zu ihrem Vater): Papa!

Der Vater umarmt seine Kinder.

Mutter: Hallo Schatz, na? Wie war die Arbeit?

Vater: Anstrengend, wie immer. Hallo, Opa. (setzt sich an den Tisch) Erzählt mal, was habt ihr heute in der Schule gemacht?

Sohn (gelangweilt): Ja, Schule war heute eigentlich okay. Sie war nur sehr kurz, wir hatten wieder vier Stunden Ausfall. Bio und Mathe haben wir ja gar nicht mehr … Und unsere Klassenlehrerin ist auch schon seit drei Wochen krank.

Vater: Dann müssen wir da morgen mal anrufen. Ihr habt so viel Ausfall an der Schule, das geht doch nicht.

Tochter: Aber ich will gar nicht in die Schule!

Mutter: Wie oft müssen wir das noch bereden. Du gehst in die Schule und machst deinen Abschluss nach der zehnten Klasse! Dann kannst du selbst entscheiden, was du weiter machen willst.

Tochter (schmollend): Meine Freundinnen gehen alle nicht zur Schule. Die haben immer frei! Du arbeitest doch auch nicht, warum muss ich in die Schule gehen?

Mutter (belehrend): Wenn du den Abschluss einmal geschafft hast, kannst du selbst entscheiden, ob du arbeiten möchtest oder wie ich zu Hause bleiben willst. Der Staat sorgt mit seinem Grundeinkommen ja für uns. Aber es ist ja auch nicht so, als würde ich nur auf der faulen Haut liegen: Ich arbeite halt zu Hause. Ich koche für euch, wasche die Wäsche, gehe einkaufen, passe auf den Opa auf –

Opa (ruft beleidigt aus dem Bett): Ich passe auf mich selber auf!

Mutter: Das stimmt so aber nicht, Opa.

Vater: Die Mama kriegt das Geld ja auch nur, weil der Papa arbeitet.

Sohn: Aber Papa, warum das denn?

Vater: In unserer Gesellschaft ist es wichtig, dass ein Teil arbeitet, denn sonst bekommen die, die nicht arbeiten, kein Geld. Sonst ist nämlich kein Geld für das Grundeinkommen da!

Opa (ruft aus dem Bett): Auf lange Sicht geht so die Wirtschaft zugrunde!

Mutter: Sag das nicht!

Opa: Aber es ist nun mal so. Lasst mich euch erzählen …

Opa räuspert sich und erzählt von der guten alten Zeit, als es in Deutschland noch „lebenswert“ war. Alle anderen verdrehen die Augen.


2. Akt: Im Krankenhaus

 Handelnde Personen:  

  • Arzt  
  • Ärztin  
  • Patientin  
  • Patient  
  • schwerhöriger Patient  

Ein Arzt und eine Ärztin machen im Sprechzimmer der Notaufnahme eine kurze Pause und unterhalten sich.

Arzt: Ich glaube, ich mache das nicht mehr lange mit. Ganz ehrlich? Wir haben viel zu viel Arbeit. Für diese Anzahl an Patienten bräuchte man acht Ärzte! Nicht zwei.

Ärztin (bestätigend): Und wir verdienen viel zu wenig. Es steht überhaupt nicht im Verhältnis zu unserer Arbeit.

Arzt: So kann das nicht weitergehen. Die Politik muss da mal was machen.

Ärztin (erbost): Richtig! Diese ganzen Faulenzer, die den ganzen Tag nur herumsitzen. Mit ihrem bedingungslosen Grundeinkommen. Und dann eine gute kostenlose Gesundheitsversorgung verlangen! Ich bin wirklich kein missgünstiger Mensch, aber langsam reicht es mir.

Arzt: Tja, was soll man machen. (blickt auf die Uhr) Wir müssen jetzt weiterarbeiten. (macht die Tür auf, ruft ins Wartezimmer) Der Nächste, bitte.

Patientin (ist noch nicht dran, wendet sich aber an die Ärzte): Wie lange dauert das denn noch? Ich habe einen gebrochenen Arm und warte schon vier Stunden. Ich habe Schmerzen! Das ist nicht in Ordnung!

Ärztin: Bitte beruhigen Sie sich. Der Nächste, bitte!

Patient (mischt sich auch ein): Also wirklich, wir warten hier echt ewig. Und ich muss doch noch einkaufen gehen heute! Warum dauert das denn so lange?

Arzt (versucht weiter zu beruhigen): Wir haben zu wenige Ärzte. Es tut uns leid, wir geben unser Bestes! (laut) Der Nächste, bitte!

Ein schwerhöriger Patient steht auf und betritt das Behandlungszimmer. Die Tür geht zu, alle anderen setzen sich wieder und grummeln böse vor sich hin.


3. Akt: Im Parteisitz der DDU

 Handelnde Personen:

  • Bundeskanzlerin  
  • Innenminister  
  • Finanzminister  
  • Wirtschaftsminister  
  • Bildungsministerin  
  • Klimaministerin  

Die Regierungspartei Die Deutsche Utopie (DDU) hält eine Sitzung ab, um aktuelle politische Probleme zu klären. Die Bundeskanzlerin hat eingeladen und alle wichtigen Kabinettsmitglieder sind gekommen.

Bundeskanzlerin: Hiermit eröffne ich die 14. Krisensitzung des DDU-Kabinetts. Herr Innenminister, was sagen Sie zur aktuellen Lage?

Innenminister: Es gibt viel Aufruhr zur Zeit. Wir sehen Demonstrationen auf der Straße. Die Arbeitsbereitschaft sinkt. Wir müssen unbedingt etwas tun, um die Arbeitsbereitschaft der Bevölkerung zu erhöhen. Und die Stimmung im Land muss auch wieder besser werden. Was sagen Sie denn dazu, Herr Finanzminister?

Finanzminister: Ich kann Ihnen nur mitteilen, dass die finanzielle Situation katastrophal ist. Wir haben nicht genug Einnahmen, müssen aber für 80% der Bürger das bedingungslose Grundgehalt stemmen. Das geht so nicht weiter. Wir müssen unbedingt das Grundgehalt senken.

Bundeskanzlerin: Herr Wirtschaftsminister, wie sieht es denn mit der Wirtschaft aus?

Wirtschaftsminister: Also gut, die Wirtschaft. Es ist ganz einfach: Ohne Leute, die arbeiten, kann es keine gesunde Wirtschaft geben. Deutschland war vor 20 Jahren noch auf Platz vier der größten Volkswirtschaften, mittlerweile sind wir auf Platz 32. Das hat es historisch so noch nicht gegeben. Wir sacken ab, es ist zum Verzweifeln.

Bildungsministerin: Ich schließe mich dem an. Es gibt aus meinem Bereich, der Bildung, eigentlich nichts Neues zu berichten. Deutschland hat zu wenige Lehrer und wegen des Wegfalls der Schulpflicht leider auch viel zu wenige Schüler. Der Bildungsgrad der Bevölkerung nimmt rapide ab. Ich denke, wir müssen dringend etwas an der Gesamtsituation ändern.

Klimaministerin: Auch aus der Klimapolitik gibt es wenig Positives zu berichten. Bedenken Sie, liebe Kollegen: Wir hatten 2025 das letzte Mal Schnee in Deutschland! Die vielen Klimaflüchtlinge führen dazu, dass die Unzufriedenheit und die Unruhen im Land zunehmen. Wir müssen global denken, wenn wir diese Situation ändern wollen.

Bundeskanzlerin (an alle): Was können wir also tun? Müssen wir etwa unser politisches System verwerfen? Das ist doch aber das Kernanliegen unserer Partei!

Finanzminister (empört): Das hieße, unsere Prinzipien über Bord zu werfen!

Bildungsministerin: Was können wir also tun?

Allgemeines Schweigen.

Innenminister: Ich schlage vor, dass wir die Sitzung vertagen. Vielleicht ändert sich die Situation ja bald.

Klimaministerin: Ein guter Vorschlag.

Finanzminister: Wie wäre es mit heute in einer Woche?

Klimaministerin: Naja, soo dringend ist das auch nicht. Und was soll sich in einer Woche schon groß ändern?

Wirtschaftsminister: Da habe ich auch bereits einen Termin. Was ist mit in zwei Wochen?

Bundeskanzlerin: Also in zwei Wochen? Hat jemand Einwände? (niemand meldet sich zu Wort) Es ist also beschlossen, wir treffen uns in zwei Wochen zur nächsten Krisensitzung. Hiermit ist die heutige Sitzung beendet.

Die Kabinettsmitglieder beginnen, sich über andere Themen zu unterhalten und sich an den bereitgestellten Getränken zu bedienen.