Die Shishascheindemokratie

Ein Zeitreise-Bericht der Klasse 10a des BIP Kreativitätsgymnasiums Leipzig vom 14. bis 15. Dezember 2021


Wir schreiben das Jahr 2040

In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich Deutschland sehr verändert. Die Schere zwischen Arm und Reich ist extrem aufgegangen. Es gibt zwar noch Wahlen, die jedoch im Geheimen von einer kleinen Gruppe reicher Unternehmer manipuliert werden. So unterstützen diese seit vielen Jahren vor allem die DVP (Demokratische Volkspartei), die bereits vier Wahlperioden hintereinander den Kanzler stellt. Als Gegenleistung verlangen die Oligarchen eine Politik, welche die Reichen privilegiert und die einfachen Bürger ausbeutet.

Infolgedessen hat sich das Gesicht vor allem der größeren Städte des Landes verwandelt. Die Mittelschicht lebt in maroden Häuser, die Unterschicht sogar in Zelten, während sich eine kleine Elite mächtiger und reicher Bürger in eigene Viertel mit luxuriösen Villen und Penthouses zurückgezogen hat. In den Stadtteilen der weniger Wohlhabenden herrscht ab 20.00 Uhr eine Sperrstunde. Auch gibt es dort strenge Auflagen für den Konsum von Alkohol in den wenigen Bars und Kneipen. Im Vorfeld der anstehenden Bundestagswahl wurden zudem in vielen Städten Sperrzäune zum Schutze der Reichenviertel errichtet. Diese können nur noch für genehmigte Arbeitstätigkeiten betreten werden.

Nicht zuletzt mangelt es in den Stadtteilen der Unter- und Mittelschicht an einer guten medizinischen Versorgung. Ebenso lassen die Arbeitsbedingungen sehr zu wünschen übrig. Es fehlen Hilfsmittel wie Werkzeuge und Maschinen, geschweige denn moderne, zeitgemäße Technik, die den Quartieren der Reichen und Mächtigen vorbehalten bleibt.

Erstaunlicherweise finden bislang noch keine Aufstände statt, da man die Bevölkerung durch eine perfide wie effektive Propaganda ruhig stimmt. So werden durch Politik und Medien immer noch die anfänglichen, wirklichen Verbesserungen in der ersten Regierungszeit der DVP beschworen und zugleich Versprechungen für eine bessere Zukunft gemacht. Vor allem suggeriert man den Bürgern mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und einem Mindestlohn den sozialen Aufstieg durch fleißige Arbeit. Doch solche Erfolgsgeschichten sind selten oder fingiert.

Zur aktuellen Bundestagswahl wurde sogar das Wahlalter auf 14 herabgesetzt sowie ein ganzes Spektrum verschiedener und darunter auch neuer Parteien zugelassen, um das Funktionieren der Demokratie zu demonstrieren. Und tatsächlich begannen sich mehr Bürger aller Schichten und darunter besonders die jungen für das Angebot an Parteien und ihren Programmen zu begeistern. Großen Zulauf hat dabei die Besonders Intelligente Partei (BIP), die unter anderem für die Aufhebung der Ausgehsperren und eine Legalisierung leichter Drogen antritt.

Der Ausgang der Wahl bringt jedoch der Bevölkerungsmehrheit die große Enttäuschung. Es regen sich zunehmend Vorwürfe des Wahlbetrugs und Kritik am ganzen System. Die Machthaber sind indes bereit, jeden Bürger, der zu viel weiß oder gar aufmüpfig wird, zum Schweigen zu bringen.



Eine Szene, die sich im Jahre 2040 zugetragen hat…

1. Akt: Vor einem Wahlbüro

 Handelnde Personen:  

  • Mann mittleren Alters  
  • Ältere Frau  
  • Frau mittleren Alters  
  • Junger Mann  
  • Älterer Mann  
  • Jugendlicher  
  • Jugendliche  
  • Frau mit Tablet  
  • Bundeswahlleiter  

Mehrere Bürger unterschiedlichen Alters vor allem aus der Unter- und der Mittelschicht stehen draußen vor einem Wahlbüro zur Bundestagswahl Schlange und kommen miteinander ins Gespräch.

Mann mittleren Alters (der älteren Frau vor ihm auf die Schulter tippend): Gute Frau, wen wollen Sie denn gleich wählen?

Ältere Frau (sich umdrehend, mit schwacher Stimme): Ja guten Tag, mein Herr! Ich möchte gerne mal was anderes wählen. In diesem Jahr die DAP, also die Deutsche Arbeiterpartei und nicht mehr die DVP, weil die macht mir das nicht gut genug. Und ich hab mein ganzes Leben lang gearbeitet. Die letzten 20 Jahre schon sehr hart und deswegen möchte ich von der DAP mit einer angemessenen Rente belohnt werden. Und Sie, Sie Sportskanone?

Mann mittleren Alters: Was ich wählen will?

Ältere Frau: Ja!

Mann mittleren Alters: Ja ich werd wahrscheinlich die BIP, die Besonders Intelligente Partei wählen und nicht diese Politik der DVP, bei der trotz aller Arbeitsanstrengungen für den kleinen Mann zu wenig rausspringt. (emotional) Was soll ich denn anfangen damit? Und ich will mal richtig die Sau rauslassen, auf Partys, wie sie die BIP unterstützt. Es steht mir bis hier, dieser ganze Mist! Nur Stress im Leben! Nee, ich setz auf die BIP. (sich umdrehend) Und bei Ihnen, junge Dame?

Junge Frau (enthusiastisch): Also ich möchte die HTP wählen, die Herz-für-Tiere-Partei! Ich liebe Tiere und ich wünsche mir, dass es allen Tieren auf der Welt gut geht. Und deswegen ist das meine Partei. (sich umdrehend) Und Sie, was wollen Sie wählen?

Frau mittleren Alters (etwas verwirrt): Äh, was? Ach ja, ich werde auf jeden Fall die Veggie-Partei wählen, weil ich mich schon seit der Kindheit vegan ernähre. Und deswegen ist dieses Thema für mich sehr, sehr wichtig!

Junge Frau: Das klingt doch gut!

Frau mittleren Alters (sich umdrehend): Und für wen möchten Sie abstimmen?

Junger Mann: Na ich bin auch für die BIP! Das Wahlprogramm von denen gefällt mir dolle! Wieder länger ausgehen zu dürfen und mit ein paar Mittelchen die Party-Stimmung aufpeppen zu können, das ist schon was. Und das würde endlich mal ein bisschen frischen Wind in unser Land bringen, damit wir Jungschen in der Freizeit nicht immer nur bei den vielen Alten in unsren Bruchbuden rumhängen müssen.

Frau mittleren Alters (nickend): Ja das klingt gar nicht so schlecht! Vielleicht entscheide ich mich auch noch mal um.

Junger Mann (sich umdrehend): Und Sie, für wen entscheiden Sie sich?

Älterer Mann (stark gestikulierend): Also ich finde ja die DVP sehr gut. Die haben so eine tolle Arbeit geleistet in den letzten 15 Jahren. Ich bin damit super zufrieden! Deswegen wähle ich wieder die DVP, da besteht gar kein Zweifel. (sich umdrehend) Und Sie, wem geben Sie Ihre Stimme?

Jugendlicher (wohl 14 Jahre alt und mit Migrationshintergrund): Wallah, was ich wählen will? Wallah, Digga, die BIP, Digga! Weißt du, Digga, was die machen wollen? Shisha schon ab 14 legal! Mit den Dudes abhängen und ’ne Shisha ziehen, ohne dass Baba am Abend Gürtel zieht, Digga! (sich umdrehend) Und du, wallah?

Jugendliche (ebenfalls im Teenager-Alter und mit chilliger Haltung): Ja ich werd auf jeden Fall auch die BIP wählen. Den ganzen Tag kiffen, das ist voll mein Ding! (sich umdrehend zur letzten Person in der Schlange) Und Sie, hey?

Frau mit Tablet (auf dem sie die ganze Zeit irgendwelche Statistiken verfolgt und Berechnungen anstellt): Also ich werde unbedingt die KI-Partei wählen, denn Künstliche Intelligenz ist so ein großer Fortschritt. Und dem gehört die Zukunft, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit!

Am Abend des Wahltages tritt der Bundeswahlleiter vor die Fernsehkameras.

Bundeswahlleiter: Auch dieses Jahr hat, nach einer spannenden Bundestagswahl und zunächst einem Kopf-an-Kopf-Rennen mehrerer Parteien, die Demokratische Volkspartei mit deutlicher Mehrheit gewonnen. Sie kann damit erneut allein die Regierung stellen und die Politik in unserem Staat in einer fünften Amtszeit für weitere vier Jahre bestimmen. Und wir rechnen fest damit, dass sich die Partei und Regierung für eine stabile Fortsetzung des Aufgebauten und Vertrauten einsetzen werden.

Einige der Wähler, die diese Bekanntmachung im Fernsehen verfolgen, zeigen sich zufrieden oder gar erfreut angesichts des Wahlsiegs für die DVP. Die große Mehrheit aber ist ernüchtert und sofort regen sich Unmut und Gerüchte in den Wohnzimmern des Landes.


2. Akt: In einer Baugrube

 Handelnde Personen:  

  • Arbeiter  
  • Arbeiterin  
  • Polizist  

Auch einige Tage nach der Wahl ist diese immer noch das bestimmende Thema, so auch unter den Arbeitern einer Baukolonne, die eine Grube in einem Viertel der Unterschicht mit einfachen Schaufeln aushebt.

Arbeiter (mit Unmut): Also ich versteh gar nicht, wieso so viele, ja fast alle wieder die DVP gewählt haben. Also alle, die ich kenne, würden die niemals wählen!

Arbeiterin (flüsternd): Ja, bei mir ist es genauso. Niemand hat mir erzählt, dass er die DVP wählen will oder gewählt hat. Das muss Wahlbetrug sein! Ich meine, das kann doch gar nicht stimmen.

Arbeiter (laut): Auf jeden Fall Wahlbetrug!

Ein Polizist der Einheit, welche die Bautätigkeiten überwacht, steht plötzlich am Rand der Grube.

Polizist (von oben herab): Guten Tag! Habe ich hier gerade „Wahlbetrug“ gehört?

Arbeiterin (mit einem gezwungenen Lächeln): Nein, Herr Wachtmeister, haben Sie nicht!

Polizist: Also Sie wollen mir sagen, dass es Wahlbetrug in unserem friedlichen und netten Staat gibt?

Arbeiter (tief Luft holend): Also ehrlich gesagt…

Arbeiterin (ihm sofort ins Wort fallend): Nein, natürlich nicht!

Polizist: Und wollen Sie die DVP-Regierung, die Ihnen einen guten Arbeitslohn gibt, ja überhaupt Arbeit, etwa kritisieren? Diese Arbeit ist Ihr einziger Weg zum Reichtum. Und das wollen Sie anzweifeln? Wollen Sie lieber (ironisch) für 2,50 Euro anstatt für 14 Euro noch hier weitergraben? Das können Sie gerne tun!

Arbeiterin (sichtlich unsicher): Äh ja, Sie haben sich da natürlich verhört.

Arbeiter (zeitgleich und aufgebracht): Nein, fast niemand will die DVP wählen!

Polizist (streng): Doch, die DVP wurde durch eine demokratische Mehrheit gewählt. Wenn Sie das weiter anzweifeln, dann gehen Sie gleich mal mit auf die Wache…

Arbeiterin (ängstlich und versuchend, den Kollegen wegzuziehen): Komm, lass uns weiterarbeiten!

Arbeiter (sich losreißend): Nein, soll der mich doch mitnehmen! Ich hab die Schnauze voll!

Polizist (den Arbeiter festhaltend): So, Schluss jetzt! Sie sind verhaftet und kommen mit aufs Revier!

Der Polizist legt den Arbeiter in Handschellen und führt ihn ab. Die Arbeiterin indes schaufelt mit ungeahnter Kraft weiter. 


3. Akt: Im Anwesen eines Oligarchen

 Handelnde Personen:

  • Vorsitzender der DVP  
  • Oligarch  

In seinem riesigen Anwesen an einem unbekannten Ort empfängt ein nobel gekleideter Mann, der die Öffentlichkeit scheut, den jüngst erneut zum Kanzler ernannten Vorsitzenden der Demokratischen Volkspartei – jedoch nur als Hologramm, da auch der Regierungschef nicht den Aufenthalt eines der wichtigsten Unternehmer und eigentlichen Machthaber des Landes erfahren soll.

DVP-Vorsitzender (unter Summgeräuschen als Hologramm im Büro des Oligarchen erscheinend): Sie wollten mich sehen? Ich habe allerdings nicht so viel Zeit, die Regierungsgeschäfte warten!

Oligarch (mit tiefer und zugleich monotoner Stimme): Vergessen Sie nicht, wer hier in welcher Position ist! Wir haben die Wahl wieder manipuliert. Bis jetzt ist es nur wenigen aufgefallen.

DVP-Vorsitzender (kleinlaut): Was meinen Sie mit „wenigen“? Das sollte keinem auffallen!

Oligarch: Lassen Sie das mal mein Problem sein! Wir kümmern uns um die, die es wissen. Aber merken Sie sich eins! Ohne uns wären Sie jetzt nicht in dieser Position. Also halten Sie sich gefälligst weiterhin an unsere Anweisungen! Wenn ich will, können sie morgen schon nicht viel mehr als ein Hologramm sein!

DVP-Vorsitzender (eilfertig):Ok, ok! Sonst läuft alles wie immer ab?

Oligarch (keine Miene verziehend): Ja.

Der Oligarch macht eine kurze Handbewegung zum Zeichen des Abschieds und schaltet, bevor der DVP-Vorsitzende noch etwas sagen kann, dessen Hologramm aus.