Ein Zeitreise-Bericht der Klasse FE 20a des BSZ Grimma vom 4. bis 5. Juli 2022
Wir schreiben das Jahr 2045
Nach Jahrzehnten immer weiter wachsender sozialer Ungleichheit, einer Kultur des Rechts des Stärkeren und politischen Stillstands hatten die Menschen vor einigen Jahren genug: Sie trugen ihre Unzufriedenheit auf die Straße und verlangten endlich nach mehr Gleichheit und Einigkeit in der Bevölkerung. Schnell setzte sich die TV-Komikerin Leonie Schniggel mit ihrer „Schniggelbande“ an die Spitze der Proteste. Die Bewegung, die zunächst als Scherzkampagne begonnen hatte, wurde zur Stimme der Proteste und setzte sich bei den kurz darauf stattfindenden Wahlen als stärkste Partei durch.
Als alleinregierende Partei machte sich die Schniggelbande sofort daran, tiefgreifende Reformen auf den Weg zu bringen und den Willen der Bevölkerung nach mehr sozialer Gleichheit und größerem gesellschaftlichem Zusammenhalt politisch umzusetzen. Die wichtigste dieser Reformen war das sogenannte „Einheitsgesetz“, mit der die Löhne über alle Berufsgruppen hinweg weitgehend angeglichen wurden. Es wurde auch festgelegt, dass alle Bürger das gleiche Paket von gesunden, ökologisch produzierten Lebensmitteln erhalten, um die soziale Ungleichheit im Ernährungsbereich zu mindern. Weiterhin wurde beschlossen, das Gesundheitssystem durch eine einzige Krankenversicherung für alle Menschen drastisch zu vereinfachen sowie den Bildungssektor finanziell besser auszustatten und Privatschulen abzuschaffen. Um mehr Bildungsgleichheit zu gewährleisten, wurden außerdem einheitliche Schuluniformen für alle Schüler eingeführt.
Die hohe Zufriedenheit im Volk resultierte jedoch nicht nur aus den umfassenden Maßnahmen, mit denen die Schere zwischen Arm und Reich geschlossen wurde, sondern auch an den deutlich verbesserten Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme. So wurden die neuen Möglichkeiten, die die Digitalisierung und andere technologische Innovationen bieten, dazu genutzt, eine Abstimmungsapp als direktdemokratisches Instrument zu etablieren. Dort können alle Bürger persönliche Wünsche und Vorschläge einreichen, über die in regelmäßigen Abständen von der Bevölkerung abgestimmt werden. Politiker sind verpflichtet, die Abstimmungsergebnisse umzusetzen.
Das hat dazu geführt, dass die Regierungspolitik sehr bürgernah gestaltet ist und die herrschende Schniggelbande stets im Interesse der Bürger handelt. Der nach wie vor präsente Geist der Proteste, der Einheit, Gleichheit und Solidarität fördert, ist im Jahr 2045 zu einem wichtigen kulturellen Faktor geworden, der verhindert, dass politische Entscheidung im Sinne einiger weniger oder ohne Blick in die Zukunft getroffen werden.
Eine Szene, die sich im Jahre 2045 zugetragen hat…
1. Akt: Supermarkt im Dorf
Es ist das Jahr 2030, Gertrud besucht den kleinen Supermarkt in ihrem Dorf.
Gertrud: Oh Gott, die Preise! Die Butter kostet 3,20 Euro, die Milch 2,40 Euro… Wie soll ich mir das nur leisten?
Gertrud nimmt Butter und Milch und geht in den nächsten Gang, in der die Verkäuferin Sabine gerade Ware ins Regal einräumt.
Gertrud: Mensch, Sabine, seit wann sind Butter und Milch denn so teuer?!
Sabine: Gertrud, meine Liebe, alles wird teurer. Ich kann es leider nicht ändern…
Gertrud: Das kann doch nicht sein! Wie soll ich diesen Monat überleben?! Das kann doch nicht überall so teuer sein! Ich schau‘ nochmal woanders…
Gertrud verlässt verzweifelt den kleinen Supermarkt und geht zum zweiten Supermarkt im Dorf, der ein paar Straßen weiter liegt.
Gertrud: Das gleiche hier! Auch alles so teuer. Mein Gott, das kann doch nicht sein… Ich muss erstmal meinen Freund Gustav anrufen.
Getrud nimmt ein billiges Smartphone aus der Tasche und wählt die Nummer von Gustav.
Gustav: Hallo, Gertrud.
Gertrud: Hallo, Gustav, du wirst es kaum glauben. Ich bin gerade in beiden Supermärkten im Dorf gewesen und Butter und Milch sind schon wieder teurer geworden! Dieses Mal fast um die Hälfte. Ich habe noch 10 Euro für den Rest des Monats, wie soll ich überleben?!
Gustav: Ja, ich weiß, Gertrud. Ich wollte letzte Woche Fisch kaufen, aber konnte es mir einfach nicht leisten. Fisch kann ich vielleicht nochmal essen, wenn ich mir selbst welchen angele…
Gertrud: Also geht es dir auch so? Na gut, wenigstens bin ich nicht allein.
Gustav: Ja, es ist wirklich schlimm geworden…
Gertrud: Was können wir denn nur machen? Wir müssen uns doch wenigstens irgendwo beschweren!
Gustav: Tja, einen Brief oder eine E-Mail kann man immer schreiben, aber ob das was nützt, weiß ich auch nicht. Ich habe neulich von so einem Projekt von jungen Leuten aus der Großstadt gelesen. Die entwickeln eine App, mit der man seine Sorgen und Wünsche direkt an die Politiker schicken kann. Da macht nur bisher noch kaum ein Politiker mit. Vielleicht wird das in Zukunft noch was werden, sie wollen wohl auch eine Abstimmungsfunktion einbauen, mit der dann alle Menschen direkt über die Wünsche abstimmen könnten. Aber das wird sicher noch ewig dauern, bis sowas mal eingeführt wird. Wenn überhaupt…
2. Akt: In der Schule
Wir schreiben inzwischen das Jahr 2042, Oliver kommt gerade in der Pause auf den Schulhof.
Kerstin: Hey, Oliver, was hast du denn schon wieder für Klamotten an?
Oliver: Was hast du denn gegen meine Klamotten? Die hat meine Mutter für mich ausgesucht.
Kerstin: Das sieht ja schrecklich aus… Guck‘ mal hier, das nennt sich Stil.
Kerstin zeigt auf ihre neue Markenkleidung.
Oliver: Du nervst mich, weißt du das?! Ich möchte nicht jedes Mal wegen meiner Kleidung runtergemacht werden.
Kerstin: Ach ja, und was willst du dagegen machen?!
Oliver: Seitdem die Schniggelbande in der Regierung ist, hat sie angekündigt, dass wir alle mehr mitbestimmen dürfen! Die neue Abstimmungsapp ist seit ein paar Wochen draußen und ich werde vorschlagen, dass in Zukunft alle Schüler die gleichen Schuluniformen tragen müssen! Mal sehen, ob du dich dann immer noch so toll fühlst!!
Am Nachmittag nach Schulschluss, als Oliver wieder zuhause ist, tippt er seinen Wunsch nach einheitlichen Schuluniformen in die Abstimmungsapp auf seinem Smartphone. Es dauert nicht lang, da hat Olivers Vorschlag eine ganze Menge Aufmerksamkeit erregt und viele andere Bürger gefunden, die ihn unterstützen. Der Vorschlag landet nach einiger Zeit bei Bern, der als Politiker für Bildungspolitik zuständig ist.
Bernd: Hmm, dieser Vorschlag hier hat eine ganze Menge Zustimmung erfahren. Der Junge heißt Oliver und er wünscht sich einheitliche Uniformen in der Schule. Interessant… Ich denke, bei dieser Zustimmung unter der Bevölkerung lässt sich das durchaus realisieren. Bei der nächsten Regierungssitzung werde ich den Vorschlag meinen Kollegen unterbreiten, immerhin ließe sich die Gleichheit unter der Bevölkerung dadurch vermutlich noch weiter verbessern. Das können wir ja immer gebrauchen.
3. Akt: Essenausgabe auf dem Marktplatz
Das Jahr 2045, auf dem Marktplatz werden wie immer die wöchentlichen Nahrungsmittelpakete an die Bevölkerung ausgegeben, von denen jede Person eines erhalten soll.
Harald: Guten Tag, ich würde gern meine wöchentliche Ration abholen.
Stefan: Guten Tag, haben Sie denn Ihren Gutschein dabei?
Harald: Ja, hier ist er.
Stefan: Na dann, nehmen Sie sich Ihr Lebensmittelpaket.
Stefan zeigt auf den Stapel Lebensmittelpakete, der neben ihm am Heck eines Transportfahrzeugs liegt. Harald geht zum Stapel und nimmt sich ein Paket. Nach kurzem Zögern greift er nochmal zu, schnappt sich ein zweites Paket und beginnt zu rennen. Stefan bemerkt den Diebstahl und ist schockiert.
Stefan: Hey, das ist Diebstahl! Haltet den Dieb!
Doch es ist zu spät, Harald ist mit beiden Paketen unter dem Arm in eine kleine Seitengasse entkommen. An einem Fenster eines Hauses, das direkt am Marktplatz steht, hat das junge Mädchen Maria die ganze Szene beobachtet. Auch sie ist schockiert. Am Abend, bevor sie zu Bett geht, schreibt sie wie immer in ihr Tagebuch.
Maria: Liebes Tagebuch, heute habe ich zum ersten Mal beobachtet, wie ein Mann bei der Essenausgabe auf dem Marktplatz ein zusätzliches Lebensmittelpaket geklaut hat. Sowas habe ich noch nie gesehen! Warum hat er das wohl gemacht? Ich verstehe nicht, warum jemand etwas klauen würde, wo wir doch alle das Gleiche bekommen! Vielleicht war er alt und hat in seiner Kindheit noch erlebt, wie es früher war, als es viele arme Menschen gab, die um ihr Überleben kämpfen mussten? Aber warum hat er es heute getan, wo es doch gar kein Arm und Reich mehr gibt? Ich habe Papa gefragt und er hat mir nicht geglaubt. Er hat gesagt, er hat schon seit über zehn Jahren keinen Diebstahl mehr gesehen und dass es sich vielleicht einfach um ein Missverständnis gehandelt hat. Komisch, diese ganze Sache. Naja, wer weiß, vielleicht hat der Mann auch nur einen Scherz gemacht…
Redaktion: km