Das Imperium der Erben

Ein Zeitreise-Bericht einer 11. Klasse des Gymnasiums Luisenstift Radebeul vom 30. Juni bis 1. Juli 2022


Wir schreiben das Jahr 2045

2038 gab es eine große Dürre und Unruhen wegen Ressourcenknappheit. Der Konzern Nestlé nutzte sein Wassermonopol und die Krise, um die Bevölkerung noch stärker an sich zu binden. Das Wasser lässt er sich bis heute teuer oder durch umfangreiche Dienstleistungen bezahlen. Die Dürre und mehr noch dieses Geschäftsgebaren vergrößerten das bisher schon sehr große Wohlstandsgefälle. Seither wird die Welt mehr und mehr regiert von Nestlé und einer Reihe weiterer reicher wie mächtiger Konzerne, deren Führungsspitzen eine kleine autoritäre Schicht bilden und sich selbst „die Erben“ nennen.

Der Großteil der Bevölkerung gehört einer armen und unterdrückten Arbeiterschicht an, welche „die Malocher“ genannt werden. Um die Produktivität der Arbeiter zu steigern, schlossen die Erben alle Clubs und verboten Alkohol und sämtliche Rauschgifte, auch im Privatleben, während sie selbst weiter den Genuss dieser Dinge pflegten. Das mehrte den Unmut der einfachen arbeitenden Bevölkerung. Um sich und ihre Macht zu schützen, ließen die Erben den Malochern Chips implantieren, mit dem Versprechen, dass diese gegen neuartige Krankheiten helfen würden. Tatsächlich aber sollen die Chips die totale Kontrolle über ihre Träger ermöglichen, indem sie diese manipulieren oder gar bestrafen, etwa durch Elektroschocks bei Ungehorsam.

Auch errichteten die Erben die sogenannten „Sektoren“: ein Netz aus Gefangenen- und Arbeitslagern. In diesen will man die Malocher, aber auch systemkritische Menschen aus dem Umfeld der Erben von der Erbengemeinschaft sicher separieren und massiv ausbeuten. In den Lagern kommen modernste Sicherheitstechnologien wie Polizeidrohnen, Ordner-Roboter und lasergestützte Überwachungssysteme zum Einsatz. Die Chips schreiben den Inhaftierten ein von den Erben festgelegtes Regelwerk vor. Dieses nennt sich „Community-Guideline“. Medizinische Versorgung und Bildungsmöglichkeiten werden für die geknechteten Malocher auf ein Minimum beschränkt. All dies führt zu einer noch stärkeren Abneigung der Malocher gegen die Erben. Aufgrund der Chips und des Gewaltmonopols der Erben besteht allerdings keine Gefahr für einen erfolgreichen Aufruhr mit dem Ziel einer Veränderung. Nicht zuletzt bekommen die Malocher durch ihre Chips bei guter Arbeitsleistung Endorphine verabreicht, so dass sie Anreize zur Weiterarbeit erhalten und nicht durch ständige Bestrafungen bei Arbeitsverweigerung verkümmern.



Eine Szene, die sich im Jahre 2045 zugetragen hat…

1. Akt: In einer Schule der Erben

 Handelnde Personen:  

  • Herr von Hasenberg –  
    Lehrer  
  • Inge von Stufenberg –  
    Aufsichtsrätin  
  • Barbara von Stufenberg –  
    Aufsichtsrätin  
  • Mehrere Schüler  
  • Roboter T800  

In einer Schule der Erben führen zwei Aufsichtsräte des Nestlé-Konzerns das Einstellungsgespräch mit dem neuen Geschichtslehrer.

Lehrer: Ich möchte mich noch einmal bei Ihnen bedanken, dass Sie mir die Chance geben, den Kindern die Geschichte unseres Landes zu vermitteln.

Inge von Stufenberg: Sie müssen sich dabei aber unbedingt an die Inhalte des Lehrplans halten!

Barbara von Stufenberg: Ja, mit gewissen eigenwilligen Geschichten tun Sie den Kindern keinen Gefallen.

Geschichtslehrer: Nun, ich werde mit größter Sorgfalt unterrichten. Sie können sich auf mich verlassen. Danke für Ihr Vertrauen!

Wenige Wochen später im Geschichtsunterricht.

Geschichtslehrer: Also, liebe Schüler, ich habe euch die Hologramme zum neuen Thema ja schon zukommen lassen. Es geht heute also um die große Dürre von 2038. Wir ihr ja alle wisst, kam es zu enormen Hitzewellen und damit zu viel Durst in der Bevölkerung und auch zu Missernten. Schließlich reagierte die Bevölkerung mit Unruhen. Aber eine Firma machte es sich zur Aufgabe, diese Krise zu bekämpfen: Nestlé. ­–Nestlé begann nicht nur, die Menschen mit Wasser zu versorgen, sondern auch die Ordnung wiederherzustellen. Der aufmüpfige Pöbel sollte ruhiggestellt werden. Dazu entwickelte Nestlé die Chips, die ihr vielleicht kennt.

Die Schüler fangen, als sie an die Chips denken, glückselig zu seufzen an – wohl durch eine Endorphinausschüttung durch den Chip.

Geschichtslehrer: Diese Chips werden vor allem genutzt, um…

Polternd tritt ein Polizeiroboter des Typs T800 in den Unterrichtsraum ein.

Roboter: Sie haben Falschinformation gegen Nestlé verbreitet.

Geschichtslehrer (verunsichert): Äh, nein!

Roboter: Sie werden umgehend in einen abgelegenen Sektor deportiert.

Der Lehrer versucht sich unter Hilferufen aus dem unsagbar kräftigen Griff des Roboters zu lösen, wird aber von diesem ohne Umschweife abgeführt.


2. Akt: In einem Strafsektor

 Handelnde Personen:  

  • Lehrer  
  • Roboter T800  
  • Doktor Krahmer  
  • Mehrere Fabrikarbeiter  

Der Roboter liefert den sichtlich erschöpften, kaum noch widerständigen Lehrer am Eingang eines Arbeitslagers in einem der vielen Strafsektoren ab. Hier wird der Lehrer von Doktor Krahmer, dem Lagerleiter, empfangen.

Doktor Krahmer (aufgesetzt freundlich): Herzlich willkommen! Sie wollen also für uns arbeiten.

Lehrer (irritiert): Arbeiten?

Doktor Krahmer: Ja! (den Lehrer vor sich her schubsend) Los, da lang!

Beide erreichen den Umkleidesaal einer großen Fabrik.

Doktor Krahmer: Hier (weist auf eine riesige digitale Anzeige an der Wand) sehen Sie unser tolles Leaderboard. Es zeigt, wie viele Punkte sich die Arbeiter verdient haben. Je mehr Punkte, desto mehr Glückshormone werden ihnen verabreicht. Je weniger Punkte, desto schlechter geht es ihnen. Lassen Sie mich das demonstrieren!

Sie betreten eine Fertigungshalle für Chipimplantate.

Doktor Krahmer: Hier (auf einen emsigen und zugleich wie high wirkenden Arbeiter am Fließband zeigend) sehen Sie zum Beispiel einen sehr guten Malocher. Er arbeitet sich glücklich. Aber diese Downies da (auf einige andere Arbeiter mit traurigen und teils auch schmerzverzerrten Gesichtern deutend) haben leider nicht so gut gearbeitet. Die sind so traurig, das wollen Sie nicht sein. Besser Sie arbeiten richtig! Und damit geht’s jetzt auch schon los!

Lehrer (mit einem plötzlichen und unnatürlich wirkenden Elan): Ja, Arbeiten!


3. Akt: In der Fabrik

 Handelnde Personen:

  • Ehemaliger Lehrer  
  • Clara, Uta, Karl und Gundolf –  
    Fabrikarbeiter  

Dem Lehrer scheint nach nur wenigen Tagen sehr anstrengender, jedoch fleißiger Fabrikarbeit sein bisheriges Leben in weite Ferne gerückt. Während einer der sehr seltenen und kurzen Arbeitspausen kommen einige der Arbeiter miteinander ins Gespräch.

Clara (mit abgekämpfter Stimme): Ich finde, das geht so nicht weiter. Ich bin den ganzen Tag total mies drauf und wir müssen nur arbeiten. Was ist denn das für ’n Leben? Ich kann das nicht mehr!

Uta (benebelt wirkend): Es ist doch alles so schön hier!

Karl: Die ganzen Endorphine – willst du die wirklich aufs Spiel setzen?

Gundolf (mit einem breiten Grinsen): Und Arbeiten bedeutet doch Glück!

Clara (wütend):Das nennst du Glück? Ihr seid doch gar nicht mehr ihr selbst! Wisst ihr überhaupt noch, wie das früher war: so ein richtiges Glücksgefühl? Einfach nur auf der Schaukel sitzen und die Seele baumeln lassen. Das waren Zeiten! Ihr könnt euch vielleicht nicht mehr daran erinnern. Jetzt habt ihr ein bisschen Entspannung für fünf Minuten und morgen steht ihr wieder um halb sechs auf, um bis um zehn zu schuften. Und das bis ans Lebensende! Was haben wir denn zu verlieren, außer dass ihr hier fünf Minuten wie bekifft rumsitzt? (kämpferisch) Wir müssen das System ändern!

Lehrer (der bislang apathisch dem Gespräch zugehört hat): Was wollt ihr denn machen? Am Ende schadet dein Aufruhr nur uns allen.

Clara: Nein, wir müssen es versuchen! Wenn wir alle zusammen dagegen sind, dann läuft hier nichts mehr. Die können doch selbst gar nichts, die Erben!

Lehrer (ungehalten): Versteh doch, ihr schafft das nicht!

Clara: Das hier hat aber nichts mit Leben zu tun!

Karl: Nein, besser wir überleben als gar nicht!

Clara (sich in Rage redend): Das seh ich anders. Wir müssen eine Revolution starten und das System überwinden! Alle zusammen! Steht gleich hier und jetzt mit mir auf und ruft: Antikapitalis…


Lektorat: sb