Zerbrechliche Demokratie

Zeitreise-Bericht des Geschichtskurses der 11. und 12. Klasse aus dem Käthe-Kollwitz-Gymnasium in Zwickau (Workshop 10.-11. Oktober 2022)


Eine Szene, die sich im Jahre 2045 zugetragen hat…

1. Akt: Nachrichten

 Handelnde Personen:  

  • Nachrichtensprecherin  
  • Julia, Journalistin  
  • Anna, Demonstrantin  
  • Roboter-Polizist  

Wir befinden uns im Nachrichtenstudio.

Nachrichtensprecherin: Guten Tag, herzlich willkommen zu den Abendnachrichten! Wir schalten gleich mal nach Berlin, von wo aus unsere Korrespondentin Julia live berichtet.

Julia, Journalistin (berichtet vom Brandenburger Tor): Erneut sind wir Zeugen von heftigen Montagsdemonstrationen. Aufgebrachte Bürger demonstrieren für mehr Datenschutz und gegen die Politik der Regierung. Ihr wird vorgeworfen, die Daten zu nutzen, um die Bürger zu überwachen. Hier lasse ich jetzt eine Demonstrantin zu Wort kommen. Frau Anna Born, warum protestieren Sie, was möchten Sie?

Anna, Demonstrantin: Wir setzen uns für umfassenden Datenschutz ein. Wir möchten nicht, dass der Staat alles über uns weiß und überall herumschnüffeln kann…

Julia, Journalistin (unterbricht Anna): Vor fünf Jahren wurde doch ein Gesetz erlassen, dass zu 100 Prozent Datensicherheit garantiert. Sie als Bürger können selbst entscheiden, welche Daten Sie preisgeben.

Anna, Demonstrantin (unterbricht Julia): Ja, ja! Aber am Ende wird doch alles gespeichert. Ob wir nun zustimmen oder nicht! Und deshalb (ruft laut): Unsere Daten gehören uns!

Roboter-Polizist (schreitet ein): Hey, hey, hey! Mitkommen, das reicht jetzt!

Roboter-Polizist führt Anna vor laufender Kamera ab.

Julia, Journalistin: Wir schalten jetzt zurück nach Berlin.

Nachrichtensprecherin: Die Montagsdemonstrationen haben einen neuen Aufschwung bekommen. Dass, was im Jahre 2020 die Coronaproteste waren, sind nun die Demonstrationen gegen Datenspeicherung und vermeintliche Unterwanderung der Bürgerräte. Einige behaupten sogar, dass letztere von der chinesischen Regierung, Elon Musk oder Bill Gates kontrolliert werden. Einig ist man sich, dass die herrschenden Politiker die Bürgerrechte aushöhlen möchten, um dem „deutschen Volk“ zu schaden. Die Proteste sind ein Sammelbecken für Verschwörungstheoretiker, Neonazis und Faschisten. Den besorgten Durchschnittsbürger interessiert es erneut nicht, mit wem er sich gemein macht. Auf Nebenstraßen der Demos kommt es vereinzelt zu starken Gewaltausbrüchen seitens der Teilnehmer. Deshalb der Appell von Polizei und Innenministerium: Halten Sie sich fern. Passen Sie auf sich auf. Rassismus, Gewalt und Hass prägen die Zusammenkünfte und die Polizei kann nicht umfassend für Ihre Sicherheit sorgen. Und nun eine Eilmeldung zur gegenwärtigen Demo in Berlin. Wir schalten live zu Julia.

Ende von Akt 1.


2. Akt: Im Café

 Handelnde Personen:  

  • Nora, Partnerin von Lisa  
  • Lisa, Partnerin von Nora  
  • Jenny, Partnerin von Intimate-Bot  
  • Jeremy, Intimate-Bot, Partner mit Jenny  
  • Kellnerin  

An einem Tisch in einem wunderschönen Leipziger Café sitzen sich zwei Paare gegenüber. Auf der einen Seite Nora und Lisa, die seit zehn Jahren zusammen sind und vor drei Jahren geheiratet haben. Auf der anderen Seite Jenny und Jeremy. Jeremy ist ein Android – ein Intimate-Bot und Partner von Jenny. Er ist äußerlich nicht von einem gewöhnlichen Menschen zu unterscheiden. Jenny und Jeremy haben sich vor sechs Monaten als Paar „geoutet“ und treffen nun auf Lisa und Nora. Es entwickelt sich folgendes Gespräch.

Nora: Na, wart ihr nicht im Urlaub?

Jenny: Ja, es war so schön, wir waren in Australien. Es war wirklich wunderschön, super Wetter!

Nora: Und wo wart ihr da genau?

Jeremy, Intimate-Bot: In Canberra. Wir sind da am 2. Februar um 14:32 Uhr gelandet.

Lisa: Dann seid ihr viel am Strand gewesen?

Jenny: Ja, na klar! Es war doch so heiß. Die Sonne hat die ganze Zeit geschienen, keine Wolke am Himmel. Was auch ziemlich praktisch war, weil mein Jeremy mit seinem Super-Solar-Modul nicht zur Ladestation brauchte.

Nora (skeptisch): Konntet ihr dann überhaupt gemeinsam in’s Wasser? Ich meine…na ja, er so als „Maschine“?

Jenny (begeistert): Gar kein Ding! Das kann er, wie so vieles andere auch.

Jeremy, Intimate-Bot: Ich hab‘ doch ein Schwimmprogramm!

Lisa (auch skeptisch, kuschelt sich an Nora): Also ganz ehrlich, ich könnte mir nicht vorstellen mit einem Roboter zusammen zu sein! Die ganze Technik und so, (streift Nora durch das Haar) ist doch komisch!

Jenny (etwas aufgebracht): Wir führen doch eine ganz normale Beziehung. Wie ihr auch!

Nora: Ich stell‘ mir das irgendwie seltsam vor, wenn sich mein Partner jeden Abend aufladen müsste!

Jenny: Nein, nein! Wenn gutes Wetter ist, hält der Akku auch mal drei Tage.

Nora (zu Lisa): Na ja, diese Probleme haben wir nicht. Dich muss ich nicht aufladen. Du bist immer für mich da.

Jenny: Ja, aber ihr seid doch auch mal fertig und müsst schlafen, euch ausruhen! Wo ist der Unterschied?

Nora und Lisa fangen an zu kichern. Es ist offensichtlich, dass sie sich als das „bessere“ Paar fühlen, sie reden auch immer „über“ Jeremy, sprechen aber nicht „mit“ ihm.

Jenny (kommt in ein Rechtfertigungsmodus): Außerdem muss ich mir weniger Sorgen um seine Gesundheit machen. Es reicht ja schon, wenn einer von uns – also ich – häufiger krank bin.

Lisa: Aber was ist eigentlich, wenn ein Fehler bei ihm auftritt? Oder (jetzt macht sie eine abfällige Geste zu ihrer Frau Nora), wenn ihm die Sicherung (kichert wieder) durchbrennt?

Jeremy, Intimate-Bot (cool und gelassen): Heutzutage passiert so etwas nicht mehr. Wir sind sicher.

Jenny (aufgebracht): Ihr seid voll intolerant! Was habt ihr eigentlich für ein Problem? Wir sind glücklich miteinander!

Nora (jetzt auch aufgebracht): Also irgendwie ist das nicht meine Stimmung so hier am Tisch, (zu Lisa) lass uns besser gehen.

Jeremy, Intimate-Bot: Wir sollten uns vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal unterhalten.

Beide Paare stehen nun auf und verlassen getrennt das Café.


3. Akt: Wohnung

 Handelnde Personen:

  • Klara, WG-Mitbewohnerin  
  • Irvy, WG-Mitbewohnerin  
  • Dina, WG-Mitbewohnerin  
  • Lara, WG-Mitbewohnerin  
  • Harry, WG-Mitbewohner  

Alle Mitbewohner einer Wohngemeinschaft sitzen beim Abendbrot am Tisch zusammen und unterhalten sich angeregt.

Klara: Habt Ihr schon von der Abstimmung gehört?

Irvy: Ja, die Europäische Union soll ein Staat werden.

Dina: Was haltet ihr davon?

Lara: Weiß ich nicht. Frag‘ doch mal die Serben, ob die das auch wollen. Die sind ja letztens in die EU aufgenommen worden.

Lara: Und wer soll denn dann die Regierung bilden?

Harry: Na alle Länder zusammen, was denn sonst?

Irvy: Aber natürlich ohne die Schweiz mal wieder, die wollen sich wie immer aus allem raushalten.

Lara: Und was ist denn dann mit der Ukraine?

Dina: Na die sind doch eh schon mit im Boot. Schon vergessen, 2024 – klingelt’s?

Lara: Ach ja, stimmt. Und was sagt Russland dazu?

Irvy: Russland ist eh so unbedeutend geworden. Das interessiert doch kaum jemanden. Die haben doch damals nach dem Überfall auf die Ukraine total abgeloost.

Lara: Na ich hoffe, dass wir dann nicht wieder alles bezahlen müssen, wenn die da in Brüssel wieder was aushecken.

Klara: Wann ist eigentlich die Abstimmung?

Dina: In ein paar Wochen.

Klara: Wieder per edemap (Abkürzung für E-Democracy-App)?

Lara: Ja. Aber es ändert sich ja eh nix, denke ich zumindest.

Klara: Wenn das Internet funktioniert! Hier bricht doch jedes Mal das Netz zusammen. Andere Länder haben voll den guten Standard und wir? Nachher zählt unsere Stimme gar nicht. Das ist doch echt blöde. Nur, weil unsere Regierung den Netzausbau nicht auf die Reihe bekommt! Guck Dir mal Estland und die Ukraine an, und dann vergleich das mal mit Deutschland!

Harry: Also ich stimme dagegen.

Irvy: Ich auch.

Dina: Ich stimme dafür. Dann ziehen endlich alle mal an einem Strang und dann kocht nicht jeder immer sein eigenes Süppchen! Und außerdem sind wir dann viel stärker.

Harry: Was sagen eigentlich die Amerikaner dazu?

Dina: Keine Ahnung, Aber sind doch eh alle in der Nato.

Harry: Hmm, stimmt.

Dina: Was machen dann eigentlich die ganzen Rechten und Nationalisten. Zum Beispiel bei uns. Da können die Deutschen, die das brauchen, sich gar nicht mehr deutsch fühlen. Ich hör schon die Aufrufe von denen.

Irvy: Wir bekommen ja dann eh Bescheid, wenn die Abstimmung ist. Obwohl ich edemap nicht immer eingeschaltet habe. Das Piepen geht einem echt auf den Nerv. Ich hab‘ da gar kein Bock drauf, immer 24 Stunden bedudelt zu werden. Ständig wollen die von einem was, immer Politik, Politik, Politik.

Dina: Aber eigentlich ist es doch ganz gut, dass unsere Stimme gefragt ist. Wenn das andersherum wäre, wär’s doch richtig Mist.