Das Social-Credit-System

Ein Zeitreise-Bericht der Klasse BGY22G3 des BSZ Delitzsch vom 1. bis 2. November 2022

Eine Szene, die sich im Jahre 2045 zugetragen hat…

1. Akt: Im Bundestag

 Handelnde Personen:  

  • Karl – Schüler  
  • Beata Bauer – Bundestagspräsidentin  
  • Raimund Rainer – Bundeskanzler  

Karl besucht mit seiner Schulklasse den Bundestag. Alle warten gespannt auf die Eröffnung der heutigen Sitzung.

Bundestagspräsidentin: Hiermit begrüße ich alle Abgeordneten zur heutigen Sitzung des Deutschen Bundestags. Ich erteile das Wort dem Bundeskanzler Raimund Rainer, der uns sein neues Grundsatzprogramm vorstellen möchte.

Bundeskanzler: Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine Damen und Herren, als Kanzler und Parteivorsitzender meiner Partei “Deutschland 3.0” freue ich mich, Ihnen am heutigen Tage unser neues Programm für die Zukunft vorstellen zu dürfen und hierbei einige Argumente zu nennen, mit denen ich um Ihre Zustimmung werbe.

Für die Arbeitswelt der Zukunft setzen wir kompromisslos auf Digitalisierung und die Umschulung nicht mehr benötigter Fachkräfte für die nun anfallenden Arbeiten. Die Schüler der Zukunft lernen von zu Hause aus und nutzen moderne Techniken wie Tablets oder VR-Brillen, über welche sie mit ihrer Klasse verbunden sind, jedoch keine Schule mehr physisch besuchen müssen. Darüber hinaus führen wir ein neues Bewertungssystem ein, über das die Kinder für die Teilnahme am Unterricht Credits sammeln, Zusatzpunkte gibt es für Abschlussprüfungen und andere Errungenschaften. Damit wird dies die erste Generation, die von Geburt an in das Social-Credit-System integriert wird, welches unser Zusammenleben in der Zukunft regeln wird. Das System erlaubt eine Neuordnung der Gesellschaft ungekannten Ausmaßes, in welcher Leistung und Aktivitäten für das Gemeinwohl gleichsam honoriert werden. Durch Rationalisierung eingesparter Lohnkosten zahlen die Unternehmen in einen staatlichen Fonds, der zur Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens genutzt wird. Damit sind alle Bürgerinnen und Bürger abgesichert, auch wenn sie keiner Erwerbsarbeit nachgehen.

Bundestagspräsidentin: Damit stelle ich das eben beschriebene Programm inklusive der nötigen Gesetzesänderungen zur Abstimmung.

Der Abstimmungsprozess beginnt und auf der digitalen Tafel schnellen die Zahlen für beide Abstimmungsoptionen nach oben.

Bundestagspräsidentin: Nach Auszählung der Stimmen kann ich eine 75-prozentige Zustimmung der Bundestagsabgeordneten verkünden. Damit ist das Programm für die Zukunft verabschiedet und die Änderungen treten ab morgen in Kraft. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bin guten Mutes, dass uns dieses Programm bereit macht für eine Zukunft voller Veränderungen, denen wir mit Innovation und gesellschaftlichem Zusammenhalt begegnen wollen.

Breiter Applaus. Karl macht sich mit seiner Klasse auf den Heimweg.


2. Akt: In der Schule

 Handelnde Personen:  

  • Karl  
  • Anton – Karls Freund  
  • Prüfroboter  

Zurück in der Schule tauscht sich Karl mit seinem besten Freund Anton über die neuesten Reformen aus.

Karl: Oh nein, wir sind nun der erste Jahrgang, der die Prüfung mit diesen VR-Brillen oder mit Tablets ablegt. Ich habe mich noch immer nicht so richtig an sie gewöhnt und nun hängt von ihr unser weiterer Lebensweg ab.

Anton: Ja, mir ist ganz bange dabei, denn die Credits bestimmen doch meinen späteren Platz in der Gesellschaft. Der Algorithmus lässt dann kaum noch zu, dass wir später nochmal eine Chance auf einen guten Arbeitsplatz bekommen.

Karl: Diese Prüfung entscheidet über unsere Einordnung in die neuen Klassen unserer Gesellschaft, aber immerhin gibt es ein bedingungsloses Grundeinkommen, sodass jeder egal mit wievielen Credits noch über die Runden kommt.

Anton: Viel Glück uns nun. Lass uns danach nochmal in den Chatraum zurückkehren.

Die beiden loggen sich in den virtuellen Prüfungsraum ein und beginnen den Test. Nach 30 Minuten ist die Zeit um.

Prüfroboter: Countdown: 3, 2, 1. Bitte verlassen sie den virtuellen Prüfungsraum, die Zeit ist abgelaufen.

Karl: Puh, das war aber schwer. Ich habe das Gefühl, dass sie hier nur eine kleine Elite aussieben wollen. Wie unsere Eltern das damals nur geschafft haben…

Anton: Ich habe auch sehr viel nicht geschafft. Ich werde später mal meinen Vater fragen. Der kennt sich aus.

Die beiden verlassen den Raum und verabreden sich für den Abend zum Chatten. Sie wollen darüber beraten, welcher Beruf in Frage kommt, sollten sie nicht bestehen.


3. Akt: Zu Hause

 Handelnde Personen:

  • Anton   
  • Vater  

Mit gesenktem Kopf geht Anton durch die Wohnungstür, wirft seinen Schulrucksack in die Ecke und kauert sich ins Sofa.

Vater (besorgt): Na, mein Sohn, wie lief die Prüfung heute? Es war doch die erste, die nach dem neuen Programm durchgeführt wurde. Ab jetzt sammelt ihr doch Social-Credit-Punkte.

Anton: Ach, es lief nicht besonders. Ich habe nun Angst, dass ich ziemlich tief eingestuft werde. Papa, wie war das eigentlich früher? Wie hast du deine Prüfung geschrieben? Gab es da auch schon so viel Technik?

Vater: Nein, diese Technik gab es damals nicht. Wir mussten immer 5 Uhr aufstehen und mit den Eltern aus dem Haus, denn ihre Schicht begann um 6 Uhr, weshalb auch die Schule so früh anfing. Unsere Prüfungen schrieben wir auf Papier, man konnte auch etwas beim Nachbarn abgucken oder sich mit dem Lehrer gutstellen, es war ein sozialer Umgang. So konnte ich trotz mittelmäßiger Noten später arbeiten, aufsteigen und dann noch studieren. Deine Großeltern waren streng, doch das trieb uns an. Ich weiß nicht, wohin uns dieses bedingungslose Grundeinkommen nun führen soll. Das ist doch bezahlte Arbeitsverweigerung auf der einen Seite und ein schlauer Trick, um die noch verfügbaren Arbeitsplätze Schritt für Schritt abzubauen.

Anton: Ich weiß nicht, alle haben doch so auf das Programm gewartet und setzen Hoffnung darin. Doch vielleicht haben wir zu wenig an die Gefahren für die Gesellschaft gedacht. In unserer digitalen Demokratie sind wir oft zu naiv und unkritisch gewesen, nach dem Motto „Wird schon“. Zu viel Zukunftsoptimismus ist wohl auch nicht gut, weil man dann nicht richtig hinschaut. Nun sehen wir, wie viele Prozesse automatisiert werden und wir Menschen haben kaum mehr die Macht, sie zurückzudrehen. Was meinst Du, Papi?

Vater: Mein Sohn, das sind kluge Worte und ich hoffe so sehr, dass auch deine Generation es schafft, die Kontrolle über unser Zusammenleben zu behalten. Wir sollten die Vorzüge der Technik nutzen, jedoch nicht in Abhängigkeiten geraten, durch welche die demokratische Struktur unserer Gesellschaft selbst auf dem Spiel steht. Bei den nächsten Wahlen kannst du das erste Mal selbst teilnehmen. (aufmunternd) Jetzt aber hoffen wir, dass die Prüfung doch nicht so schlecht wie vermutet gelaufen ist und du eines Tages die Dinge selbst in die Hand nehmen wirst.

Anton kommt herüber zu seinem Vater, der ihn in die Arme nimmt und ihm gut zuspricht.


Redaktion: sm, tm.